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JULI
2025

Auswandern nach Australien: Das Labyrinth meines Neuanfangs 

5. Mai 2025, Tasmanien

Seit vier Monaten zurück in Australien. Eine Farm namens Connerville. Ich stehe irgendwo im tasmanischen Nirgendwo, trage meinen albernen, übergroßen Oodie mit dem Hundemuster (eine Mischung aus Pullover und Kuscheldecke: absurd hässlich, absurd gemütlich) und suche nach Handyempfang. Es sind etwa zehn Grad, fühlt sich aber an wie minus zwanzig. Es ist 19 Uhr und stockfinster. Winter eben. (Ja, auch in Australien.)

Er, mein (noch) Freund, am Telefon. Australier. Hat mich gestern noch zum Flughafen gefahren. Aus einem Abschiedskuss wurden zwei, vielleicht drei. Und jetzt? Worte schießen durch die Leitung wie Billardkugeln – langsam, aber mit voller Wucht und mitten ins Herz. Tränen. Zittern. Atemnot. Ich lege auf.

Sieben Minuten. Mehr nicht. Und ich war plötzlich wieder Single. Aus dem gottverdammten Nichts. Umgeben von Fremden und weggeworfen wie ein eingelöstes Kinoticket. Von der Person, die ich als mein Zuhause bezeichnet hatte. 

Wow. Und Autsch. Und wow.

Seitdem versuche ich immer noch zu begreifen, was zur Hölle eigentlich alles in der ersten Hälfte dieses Jahres passiert ist. Und so sehr ich mich dagegen gewehrt habe, darüber zu schreiben, so sehr weiß ich jetzt: Ich bin es mir schuldig. 

Für die 70-jährige Omi, die ich eines Tages sein werde. Wie sie da sitzen wird, auf der Terrasse ihres Strandhauses. Espresso Martini zu ihrer Linken. Laptop zu ihrer Rechten. Und genau das hier lesend. In Erinnerung daran, wie es war, 22 zu sein.

Vorab: Ich werde nicht über alles schreiben. Zu privat, zu schmerzhaft – oder zu sehr mit anderen Menschen verwoben, deren Geschichten nicht zu mir gehören. 

Aber meine? Die erzähle ich. Mit all ihrem Chaos und ihrer unperfekten Schönheit, glorifiziert im emotionalen Schlamm. Für die leise Hoffnung in mir, mich freischreiben zu können.

Also zurück zum Anfang

Am 13. Januar packte ich meinen Koffer mit so ziemlich allem, was ich besitze, und zog nach Australien – zum zweiten Mal. Diesmal Single und mit nur einem einzigen Wort im Kopf: Neuanfang.

Im November letzten Jahres konnte ich endlich aus meiner alten Wohnung ausziehen und meinen Job als Telefonistin kündigen – mit genug Geld auf dem Konto, um meine Träume zu verwirklichen. Einen konkreten Plan gab es nicht. Weil ich mittlerweile ziemlich genau weiß, wie das Leben als Backpacker funktioniert: Am Anfang ist alles ein riesiger Klumpen Ungewissheit. Und dem kann man nur mit drei Worten begegnen: Spontanität, Offenheit und Eigeninitiative.

Langzeitprojekt Australien - powered by Schafscheiße

In meinem Fall – und mit dem Hintergedanken, potenziell auswandern zu wollen – gibt es immerhin ein grobes Grundgerüst aus Etappenzielen, in dessen Richtung ich mich treiben lasse. 

Australien rollt für Auswanderer nicht gerade den roten Teppich aus. Zumindest nicht ohne einen gesuchten Beruf mit Berufserfahrung. Ohne einen australischen Ehe- oder langfristigen Lebenspartner. Und ohne 20.000 Euro für ein Studentenvisum, die gern irgendwann mal vom Himmel fallen könnten. 

Das Ganze ist eher ein Langzeitprojekt – eines, das die ersten fünf Monate hauptsächlich von Zweifeln, Ausdauer, Nervenzusammenbrüchen und schlaflosen Nächten gelebt hat. Kurz gesagt: Es ist kompliziert. 

Mittlerweile (Juli 2025) habe ich einen ziemlich soliden und konkreten Plan. Langjährig – und nicht in Stein gemeißelt. Aber dazu später mehr.

Im Moment bin ich mit dem zweiten Working-Holiday-Visum hier. Wir erinnern uns an die Farmarbeit, durch die mein Ex-Freund und ich uns damals gequält haben – dafür brauchte ich 88 Tage. Für das dritte Working-Holiday-Visum sind es sechs Monate.

Und genau deshalb umgebe ich mich im Alltag (wieder mal) mit Schafen, Exkrementen, Wolle und Kelpies. Es gibt nur wenige Jobs für dieses Visum, die so gut bezahlt werden wie der als Shearing Shed Hand. Zur Vorstellung: Letzte Woche habe ich 1.500 Dollar (je nach Arbeitgeber manchmal auch mehr) verdient – das sind etwa 830 Euro – und ich wohne während dieser Jobs immer mietfrei. Meistens wird sogar das Essen gestellt. 

Rein finanziell, Auswandern oder nicht, der ultimative Beruf zum Sparen. 

Täglich grüßt das Übergepäck: Mein Flug

Ich packte bis zur letzten Minute. Die ganze Nacht vor meinem Flug um 6 Uhr morgens – wach. Zehn Monate Vorbereitung – und trotzdem: Chaos pur. Mein Koffer? Ein emotionaler Ausnahmezustand. Ich sortierte, fluchte, wog, sortierte neu. Ergebnis: Übergepäck und ein Nervenzusammenbruch light. Die Frau am Schalter schickte mich zurück. Arbeitsschutz. Also stand ich mitten am Flughafen, zerwühlte mein halbes Leben und drückte meinen Freunden unter anderem vier (!) von sechs Parfüms in die Hand. Prioritäten. Was soll ich sagen – an Minimalismus arbeite ich noch.

Ich erinnere mich noch genau an meine Gedanken, die ich in diesem Moment laut aussprach – immer wieder, wie ein mantraartiger Zauberspruch: „Was zur Hölle mache ich hier eigentlich? Das ist verrückt. Ich bin verrückt.“

Übermüdet, aber unterwegs nach Qatar, traf ich ein älteres Ehepaar, das ein Süßwarenunternehmen führte, und einen Inder, der seinen Bruder in Australien besuchen wollte. Zwei völlig unterschiedliche Begegnungen, aber beide signifikant für meinen Start. Weil ich an die goldene Regel des Alleinreisens erinnert wurde: Man ist nie wirklich allein.

Funfact: Der Inder winkte mir beim Boarding nochmal quer über sieben Sitzreihen zu. Ich winkte zurück und musste lächeln. In diesem Moment wurde mir klar: Genau so würde mein Leben ab jetzt wieder sein – voller zufälliger Begegnungen, bestäubt mit freundlicher Absurdität. Und in aller Ernsthaftigkeit? Genau dafür lebe ich. (Normal war noch nie mein Ziel.)

Hallo Melbourne, hallo Jetlag

Die erste Woche verbrachte ich im Schlafentzug-Delirium in einem Airbnb in Caulfield South – einem Suburb in Melbourne. Mein Tagesprogramm: Schlafen. Hundepark. Strand. Spazieren.

Mein Körper war ein Wrack, aber mein Geist ein Hyperaktivist – was zu massiven Schlafproblemen führte. Also handelte ich wie schon bei meiner Post-Trennungs-Insomnie im letzten Jahr: Ich ging spazieren. Stundenlang. Den ganzen Tag lief ich, bis ich endlich müde wurde. Nebenbei gewöhnte ich mich daran, dass hier Sommer ist: 30 Grad, Sonne, blauer Himmel – während Deutschland noch tief im Winter steckte. Und diesmal war nichts fremd. Ich war nicht mehr 19 – überfordert und nervös, allein am anderen Ende der Welt. Nein. Ich war 22 und für den Moment einfach nur überglücklich, wieder hier zu sein.

Bereit für Menschen

Nach einer Woche alleine rumlungern, Tagebuch schreiben und so tun, als hätte ich mein Leben im Griff, dachte ich: Jetzt bin ich bereit für ein Hostel. Und ich war bereit. Nur nicht für dieses Hostel. Ein Partyhostel. Jackpot.

Ich. Die Person, die schon bei überfüllten Supermärkten innerlich kollabiert. Die bei Clubmusik das Bedürfnis verspürt, sich in einen Burrito einzuwickeln und einfach zu verschwinden.

Am Ende war alles halb so schlimm, und ich ließ mich drauf ein. Ich schlief in einem gemischten 6er-Schlafsaal und traf schnell auf Menschen, mit denen ich eine gute Zeit hatte. Einer davon war studierter Biologe aus Italien, und als er von Biolumineszenz erzählte, zogen wir nachts als kleine Truppe zum St. Kilda Pier. Und dort sahen wir es – magisches, leuchtendes Wasser. Wie Glitzer im Meer.

Ich zwang mich sogar an zwei Abenden zu den Hostelpartys. Nun, ich verkroch mich angetrunken mit meiner Vape im Raucherbereich und fragte wildfremde Leute nach ihren Träumen. Namen kamen erst später. Sozial ein bisschen schräg? Wahrscheinlich. Effektiv gegen das ewige „Woher kommst du?“ – definitiv.

Hostel Horror - Holt mich hier raus 

Gesellschaft tat gut – bis ein Brite unter mir einzog. Also wortwörtlich: Ich oben, er unten im Doppelstockbett. Er war nur zwei Nächte da, für einen Rave. Und um 3 Uhr morgens brachte er eine Frau mit ins Zimmer – beide betrunken und nicht unwahrscheinlich auf Drogen. Während fünf Leute versuchten zu schlafen. Es wurden Dinge gehört und gesehen, die meiner Meinung nach nicht ohne vorherige Absprache in einem Hostel passieren sollten. Ich war traumatisiert. Ab da war klar: Ich brauche ein Privatzimmer. Und eine Therapie. Aber eins nach dem anderen.

Ich war außerdem parallel an der Jobsuche. In meinem Fall: Millionen Telefonate mit Shearing Contractors – und nach Arbeit fragen. Lebenslauf? Nicht nötig. Willkommen in der Shearing-Industrie. Ich wusste, dass ich Melbourne bald verlassen würde – für die Visatage und das Geld. Also gönnte ich mir ein Einzelzimmer in einem anderen Hostel – mit Pub im Erdgeschoss.

48 Stunden zum Verlieben

Im neuen Hostel redete ich mit exakt niemandem – und liebte es. Ich genoss die Magie eines Einzelzimmers und regelte Erwachsenenkram: Ich nahm einen Job in Südaustralien an.

Im Pub bestellte ich mir ein Glas Weißwein und buchte meinen Flug nach Adelaide. In zwei Tagen. Noch am selben Abend stand ein Hinge-Date auf meiner Agenda. Erwartungen? Keine. Fakten über diesen Fremden aus den Internet? 24, aus Melbourne, sieht gut aus. Mehr wusste ich nicht. Wir schrieben wenig, verabredeten uns aber direkt – ganz nach meinem Motto: persönlich ist immer besser. Spart Zeit, Energie, Nerven und den letzten Funken Vertrauen in Dating-Apps.

Zwei Bars, ein paar Drinks, grauenvolle 1-Dollar-Pizza direkt aus der Pfanne – und eine Uber-Fahrt zu ihm nach Hause. Schnitt. Am nächsten Tag lagen wir in übergroßen Oodies mit Ben & Jerry’s im Bett und schauten The Big Bang Theory, als wäre das unser fünfter Jahrestag.

Ich war von der ersten Sekunde an verzaubert. Als hätte ich ihn mir bestellt. In einem Katalog. Unter der Kategorie: Alles, was ich jemals wollte. Dachte ich damals.

Wir verbrachten meine restliche Zeit bis zum Flug zusammen. Ohne Plan. Ohne Druck. Nur dieses völlig absurde Gefühl von Irgendwie-Richtig-Füreinander.

31. Januar: Melbourne-Adelaide

Ein letzter Kuss. Abschied. Eine letzte „Wir werden uns wiedersehen“-Nachricht. Wann? Keine Ahnung. Als ich im Flieger nach Adelaide saß, wusste ich nur eins: Ich hatte Paul, meinem Contractor, für zwei Wochen Camp-Out zugesagt. Also: vorerst Schafe statt Schmetterlinge.

Adelaide-Wochenende. Tränen getrocknet, neue Arbeitsklamotten gekauft, ein paar Stunden Schlaf nachgeholt. Paul holte mich am Sonntagmittag von meinem Hotel ab.

Wir unterhielten uns die kompletten fünf Stunden auf dem Weg zur Farm. Irgendwie surreal, wie normal sich das für mich angefühlt hat: Ein älterer, fremder Mann sammelt mich mit seinem riesigen Ute (australisch für Pick-up-Truck) und einem Shearing-Trailer ein, um mich zu einer Schaffarm zu bringen – wo ich dann mit einer australischen Shearing Crew wohne.

Nichts davon war neu. Es war genau wie in meinem ersten Jahr Australien. Ich wusste, was mich erwartete. Nur irgendwie schräg-normal.

Kurzer Exkurs in die Shearing-Industrie

Shearing Shed Hand / Wool Handler 

Assistenz für die Schafscherer. Grob beschrieben: Wolle fegen, sortieren, Schaffließe heben, werfen und die Wolle für die Weiterverarbeitung vorbereiten. Oder, liebevoll primitiv ausgedrückt: Ich laufe – manchmal renne – durch die Shed, während Musik läuft, und spiele mit Wolle.

Das Team

Neben den Schafscherern und Shed Hands gibt es meistens einen Woolclasser – quasi den Woll-Guru. Er beurteilt die Qualität der Wolle und sortiert sie entsprechend.

Dann gibt es noch den Presser oder Penner. Der Penner treibt die Schafe in die „Penne“ – das Abteil, in dem die Tiere festgehalten werden. Der Presser presst die gesammelte Wolle in große Ballen für den Transport. Oft macht das eine Person, manchmal übernimmt auch der Farmer diese Aufgaben – besonders auf kleineren Farmen.

Der Contractor

Der Contractor ist der Chef des Teams. Er organisiert das Team, vermittelt Jobs, übernimmt die Logistik und zahlt das Gehalt. Man arbeitet nicht direkt für den Farmer, sondern für einen Contractor und ist auf verschiedenen Schaffarmen unterwegs.

Arbeitsalltag 

Man arbeitet vier Runs pro Tag. Start ist um 7:30 Uhr, im Hochsommer oft schon um 5 Uhr. Ein Run dauert zwei Stunden. Nach jedem Run gibt es eine 30-minütige Pause, zur Mittagszeit eine Stunde.
 

Hayley!

Ich hatte die meisten aus dem Team schon kennengelernt, bevor ich mein Zimmer bezog – ein staubiger, einfacher Raum, zwei Betten, fertig. Alles genau wie damals im Outback mit meinem Ex-Freund. Noch war ich allein.

Und dann – Hayley. Countrystiefel, Hot Pants, ein rotes Oberteil und eine Menge positive Energie. Typ Mensch: redet sofort mit dir, als würdet ihr euch schon ewig kennen. Und ich? Saß da mit meinem zerzausten Ich und dachte: Wow. Hilfe. Und wow. Ich war erst kurz überfordert – dann plötzlich entspannt. Und das lag an ihr.

Über die Zeit wurden wir gute Freunde. Oder besser gesagt: Sie hat mich adoptiert – mit einem Herz so groß wie der Mond.

Hier noch ein kleiner Einblick in die 5-Sterne-Luxus-Unterkunft vor Ort:

„Mein Körper ist tot.“

Die ersten Tage waren ein Desaster. Vergleichbar mit einem täglichen 8-Stunden-Workout. Mein Fitnesslevel? Koala mit Eisenmangel. Muskelkater deluxe. Aber auch hier: nichts Neues. Ich wusste: alles eine Frage der Zeit und Gewöhnung.

Menschen sind alles.

Pauls Team war großartig. Viele um mein Alter, alle herzlich und anständig. Im Pub im nächsten Ort führte mich Hayley in die wundervolle Welt der Cowboy Shots – Butterscotch und Baileys. Mein Lieblingsshot bis heute.

Am Wochenende: Ein Ausflug in ein Shearing-Equipment-Geschäft, Snackshopping und dann Steaks beim Sonnenuntergang auf dem Farmgelände.

Nächster Halt: Bordertown.

In der zweiten Woche ging es auf eine Farm in der Nähe von Bordertown – im Vierergespann. Paddy, ein Scherer aus Neuseeland, fuhr ganz vorne und zog den Shearing Trailer mit seiner Ute. Dahinter Harland, ebenfalls aus Neuseeland. Musste hin und wieder anhalten, um in sein Alcohol Interlock Device zu pusten – ein eingebautes Alkoholtestgerät im Wagen wegen eines früheren Promille-Ausrutschers. Das Fahrzeug springt nur nüchtern an. Sehr schön nervig, aber hoffentlich effektiv.

Und dann Hayley, ich und jede Menge Girlstalk.

Unterwegs: Toilettenstopp. Hayley sieht eine Katze, hebt sie hoch und schwupps – schon überlegen wir, ob wir die Kleine einfach mitnehmen. Paddy und Harland warten daneben in ihren Autos, leicht genervt und doch geduldig. Wir? Haben den Spaß unseres Lebens. Ganz großes Kino.

Angekommen.

Die Shearing Quarters auf der nächsten Farm waren deutlich moderner – endlich geschlechtergetrennte Badezimmer. Frisch saniert und irgendwie charmant, erinnerten sie an kleine Campingplatz-Bäder. Trotzdem 30 bis 40 Grad und nur ein Ventilator als Trost. Schmelzen wurde zum Alltag.

Vier Tage, viel Scheiße

Der Job dauerte nur vier Tage – Crutching. Dabei wird den Schafen gezielt rund um den Hintern und zwischen den Hinterbeinen die Wolle entfernt. Das verhindert Kotanhaftungen, schützt vor Fliegenmadenbefall (Flystrike) und sorgt bei der späteren Vollschur für bessere, sauberere Wolle.

Für uns Shed Hands hieß das: knien, greifen, sortieren – zwischen Wolle, Dreck und Schafskot. „Also eigentlich werden wir  dafür bezahlt, in Schafscheiße zu wühlen.“, sagte ich lachend zu Hayley. Halb Witz, halb Wahrheit – aber genau das war der Job.

Eine glückliche Fügung

Am Freitagmittag beendeten wir die Arbeit in der Shed. Bordertown liegt an der Grenze zu Victoria, etwa fünf Stunden von Melbourne entfernt. Und wer wohnt in Melbourne? Er. Nathan. Meine magische 48-Stunden-Bekanntschaft.

Seit meinem Flug nach Adelaide schrieben wir täglich unzählige Nachrichten hin und her. Spätestens da wusste ich: Das war kein Two-Night-Stand. Ich war verknallt und musste ihn wiedersehen.

Gleichzeitig sagte ich meinem Chef Paul zu, weiterhin für ihn zu arbeiten. Und jetzt kommt der Knackpunkt: Meine Freundin Hayley wohnt in Geelong, einer Kleinstadt neben Melbourne, eine Stunde mit dem Zug entfernt. So fügte sich irgendwie alles.

Sie nahm mich an jenem Freitag nach den zwei Wochen in Südaustralien mit und setzte mich direkt am Bahnhof in Geelong ab – wo sie mich am Sonntagmittag wieder abholen würde. An diesem Wochenende war Hayley mehr als nur eine Freundin – sie war mein Liebesengel mit Allradantrieb und emotionalem Pannendienst.

Irgendwo auf dem Highway. Staub, Hitze, endlose Weite. Und dann – ein riesiger Koala am Straßenrand. Also nicht echt, sondern aus Beton. Trotzdem: RIESIG. Hayley und ich schreien gleichzeitig los, als hätten wir gerade Sabrina Carpenter gesehen. Sie reißt das Lenkrad rum, wir drehen um und halten an. Einer dieser Freundschaftsmomente, die sich ins Herz brennen. Für immer abgespeichert unter: WTF, aber schön.

Zurück in Melbourne

Jener Freitag war der 14. Februar. Valentinstag. Natürlich. Weil das Leben manchmal ein Drehbuch schreibt, das selbst Netflix nicht durchwinken würde. Ich kam gegen 21 Uhr in Melbourne an und wurde direkt vom Bahnhof abgeholt. Der erste Kuss nach zwei Wochen Südaustralien-Staub; die Fahrt zu ihm nach Hause; die glitzernde Innenstadt; und dann noch ein Valentinstagsgeschenk. Alles fühlte sich an, als wäre ich nie weg gewesen. Einfach einfach – und verrückt vertraut.

Diese perfekte, rosarote Melbourne-Blase hielt bis Samstagmittag. Dann: ein Anruf von Paul.

Der nächste Job sollte eigentlich wieder in Südaustralien sein, irgendwo bei Bordertown – das hatte Paul mir ein paar Tage zuvor erzählt. Also ließ ich meinen Koffer im Shearing-Trailer. Was soll schon schiefgehen, dachte ich. Spoiler: alles.

Ich hatte Klamotten für zwei Tage und ein paar Kosmetikartikel dabei – eine Reisetasche, das war’s. Und dann: Überraschung! Hayley und ich haben kommende Woche Arbeit in Victoria.

Ich erzählte Paul von meinem Koffer-Dilemma und sagte, das sei kein Problem. Nathan und ich saßen ohnehin gerade im Auto auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums. Ich würde einfach neue Arbeitskleidung kaufen.

Kaum hatte Paul aufgelegt, brach ich in Gelächter aus – und dann in Panik. Alles, was wir dachten, war: Yay, Victoria! Näher an Melbourne! Und dann: Fuck, Victoria. Meine gesamten Besitztümer steckten fest. In einem Shearing-Trailer. Mitten im Nirgendwo von Südaustralien.

Ich war ein Nervenbündel – ängstlich, überfordert, nervös. Und gleichzeitig konnte ich nicht aufhören, über mein Leben zu lachen. Ich stand unter Strom wie ein aufgescheuchtes Huhn. Und als wäre das nicht genug: Überraschung Nummer 2 – der weibliche Einmal-im-Monat-Fluch. Großartiges Timing. Während ich das halbwegs in Ordnung brachte, sorgte Nathan für Kaffee, und wir starteten Mission Problemlösung. Kmart und ein Trip zu mehreren Secondhandläden später war ich vorbereitet – samt neuem Koffer.

Rückblickend war das ein großartiger Kennenlern-Test. Ich neige ab und an dazu, mich in einen riesigen Angst- und Panikklumpen zu verwandeln. Und das war der erste Moment in meinem gesamten Leben, in dem ich jemanden neben mir hatte, der damit umgehen konnte. Als Ruhepol und Fels an meiner Seite – von Schuhen über Sport-BHs, mit dem richtigen Maß an Logik, Feingefühl und einer perfekt getimten Prise Humor. An diesem Tag wusste ich: Genau so jemanden möchte ich in meinem Leben haben. Inzwischen weiß ich: nicht ihn. Nicht mehr. Aber genau diese Eigenschaft.

Keine 48 Stunden in Melbourne und am Sonntagvormittag hieß es zurück nach Geelong. Wieder Abschied nehmen. Trotz des Koffer-in-Südaustralien-Dramas war es ein schönes Wochenende dort, in einem der Melbourne-Suburbs, in dem Shared House mit den zwei schwarzen Katzen, in dem er wohnt. Ich lernte Nathans Mitbewohnerinnen kennen und bekam einen ersten kurzen Einblick in sein Leben. Ich war gern dort; in seiner Nähe. Und ich hasste es, wieder gehen zu müssen.

Nächster Halt: Coleraine und die verrückte Pub-Lady

Von Geelong aus machten Hayley und ich uns auf den Weg zur nächsten Farm. Diesmal hatte uns nicht Paul direkt vermittelt, sondern an einen anderen Contractor namens Richy weitergereicht. Viel wussten wir nicht – alles, was Hayley hatte, waren ein paar Koordinaten.

Als wir ankamen und die Farmer kennenlernten, wurde schnell klar: Keine Shearing Quarters, keine Unterkunft vor Ort. Also riefen wir Paul an, der wiederum Richy kontaktierte. Kurz darauf bekam Hayley einen Anruf: Richy hatte uns Zimmer organisiert – allerdings in einem Pub im 40 Minuten entfernten Coleraine.

Oder wie wir Coleraine liebevoll nannten: Cocaine. Die Einrichtung des Pubs war tatsächlich ziemlich schön – die Besitzerin allerdings? Wie die Hauptfigur aus einem Horrorfilm.

Julie Kos. Gründerin einer Firma namens „The Smoked Egg Company“ und ehemalige Teilnehmerin der australischen Kochshow Gordon Ramsay’s Food Stars. Das hatte uns ein Handwerker erzählt, der gerade die Zimmer im Obergeschoss renovierte. Ein kurzer Blick bei Google bestätigte alles.

Aus „Wir sollten auf jeden Fall im Pub essen“ wurde ziemlich schnell: „Wie viele Tage müssen wir hier noch durchhalten?“ Sobald wir das Zimmer verließen: Julie. Irgendwie war sie überall gleichzeitig. Sie redete ohne Punkt und Komma, hatte ständig etwas an uns auszusetzen und versuchte immer wieder, uns ihr Essen aufzudrängen. Wir blieben freundlich, lehnten aber jedes Mal ab – das Geld wollten wir lieber sparen.

Hayley war vorbereitet. Weil wir keine Ahnung hatten, wo wir landen würden, hatte sie ihre komplette Campingausrüstung dabei: Gaskocher, Töpfe, Teller, Besteck, Lebensmittel – einfach alles.

Im Pub gab es zwar eine Gemeinschaftsküche, benutzen durften wir sie aber zunächst nicht. Also kochte Hayley draußen auf der Terrasse – sie hielt mich in dieser Woche wirklich am Leben.

Am nächsten Morgen war der Tisch, auf dem wir gekocht hatten, plötzlich verschwunden – Julie hatte ihn wegräumen lassen. Kochen auf der Terrasse? Nicht erlaubt. Dafür „durften“ wir ab sofort die Gemeinschaftsküche nutzen. Sinn und Logik? Nicht vorhanden.

Ich halte ein Joey!

„Jill, schau nicht hin“, sagte Hayley zu mir, als sie etwas von den Rücksitzen ihres Autos holte – ein Taschenmesser.

Auf dem Weg zur Arbeit hatte sie ein Känguru angefahren. Es war sofort tot. In seinem Beutel befand sich noch ein Kängurujunges, sogar noch mit der Nabelschnur verbunden. Unschön, aber leider Alltag in Australien. Und natürlich ein Unfall.

Der Wildlife Service war bereits am Telefon und wies Hayley Schritt für Schritt an, was jetzt zu tun sei.

Ein paar Minuten später kam sie zurück zum Auto, schnappte sich ein Handtuch, wickelte das Baby vorsichtig ein und reichte es mir. Ich sollte es warm halten. Jemand vom Wildlife Service würde zur Farm kommen, um es abzuholen. Also saß ich da – mit einem winzigen Joey im Arm, so klein, dass es noch nicht einmal richtiges Fell hatte – auf dem Weg zur Arbeit.

Auf die Minute pünktlich um 7:30 Uhr kamen wir an der Shed an. Hayley ließ den Motor laufen und stellte die Heizung auf höchste Stufe – alles, um das Baby am Leben zu erhalten.

Und trotzdem hat sie funktioniert, als wir mit der Arbeit anfingen. Wie sie das – und alles, was vorher passiert war – ohne Tränen oder Panik durchgestanden hat? Konnte sie selbst nicht sagen. Autopilot. Und jede Menge innere Stärke, denke ich. 

Antidepressiva auf Abwegen

Im Laufe der Woche wurde mir eine Realität bewusst, die ich bisher erfolgreich verdrängt hatte: Mein Koffer steckte immer noch in Südaustralien fest – und darin befand sich etwas, das ich nicht mal eben schnell ersetzen konnte: meine Antidepressiva.

Ich dachte, ich schaff‘ das schon. Spätestens in zwei Wochen hätte ich den Koffer zurück. Es stand ein dreiwöchiger Camp-Out-Job in Broken Hill an – dort würde auch der Shearing Trailer sein.

Aber meine Psyche hatte natürlich andere Pläne. All die Symptome, vor denen mich die grün-weißen Kapseln sonst ganz gut geschützt hatten, feierten ihr Comeback. Ich hatte fast vergessen, wie sich das anfühlt. 

Aber Hayley war da. Sie saß neben mir, als ich nach ein paar Tagen Mutansammlung Paul anrief. Ich erklärte ihm meine Situation, und er zeigte sofort Verständnis. Noch am Freitag derselben Woche bekam ich meinen Koffer zurück.

Den Job in Broken Hill allerdings sagte ich ab. Drei Wochen schwere körperliche Arbeit in brennender Hitze, irgendwo im Nirgendwo, zwölf Stunden von Melbourne entfernt – ohne Möglichkeit, in dieser Zeit zurückzufahren. In meinem Zustand? Keine Chance.

Ich wusste, ich musste erst mal wieder klarkommen. Wieder atmen. Meine Psyche war am Ende, mein Kopf überfordert, mein Körper müde. Ich wollte einfach nur zurück. Zurück nach Melbourne. Zurück zu Nathan und dem einzigen Ort am anderen Ende der Welt, an dem ich mich in all meiner Angst noch sicher fühlte.

Einen letzten Job nahm ich trotzdem noch an – gemeinsam mit Hayley. Vier Tage in der Woche darauf. 

Mein vorerst letzter Roadtrip mit Hayley 

Das Wochenende verbrachte ich in Melbourne. Am Sonntag traf ich Hayley wieder in Geelong und wir fuhren zu unserem letzten, gemeinsamen Job. Reiseziel: Edenhope.

Das interessanteste an diesem Ort? Diese absurd flauschige Katze in einem privaten Secoundhand-Geschäft:

Auch cool: Um die Ecke von unserer Unterkunft sah ich das erste Echidna in meinem Leben.

Die Woche verging wie im Flug. Und dann hieß es Abschied nehmen – mal wieder am Bahnhof von Geelong. Nur diesmal nicht bloß für ein Wochenende, sondern für viel länger, als wir gedacht hatten.

Zwischen zwei Leben

Für Hayley ging es nach Broken Hill. Für mich zurück nach Melbourne. Und mit der Zeit fühlte sich alles an, als hätte ich zwei Leben: Eins dort – das Großstadtleben mit Nathan. Und eins draußen, in den Shearing Sheds – mein Farmleben. Zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

Es war schwer. Ich war immer irgendwo nur halb. Zweifel. Zukunftsängste. Rastlosigkeit. Aber ich lebte für die Hoffnung – und hielt mich an dem Gedanken fest, dass dieser Lebensstil nur temporär war. Für die Visatage. Für das Geld.

Nathan und ich wurden ein Paar. Wir nahmen es Tag für Tag – genau wie bisher.

„Mein Leben ist ein Chaos“, sagte ich oft. Und fragte ihn im gleichen Atemzug: „Willst du das wirklich?“ Ja. Ja, er wollte. Er wollte mich und er wollte, dass es funktioniert. Damals zumindest noch.

In Melbourne nutzte ich die Zeit wie geplant: Ich nahm regelmäßig meine Medikamente und tat, was auch immer mir gut tat. Und natürlich – Pärchenkram.

Wie ich ersetzt wurde

Nach etwa zehn Tagen mentaler Rehabilitation rief ich schließlich meinen Contractor Paul an. Ich wollte mich nach Arbeit erkundigen, sobald der Job in Broken Hill vorbei wäre.

Plot Twist: Paul hatte unser letztes Gespräch komplett missverstanden. Er dachte, ich wolle gar nicht mehr zurückkommen – und hatte mich kurzerhand ersetzt. Ein paar Kiwis seien bereits eingeflogen worden.

Er entschuldigte sich ehrlich und versprach mir Arbeit für die Shearing-Hochsaison – von Ende Juli bis Weihnachten. Ich bedankte mich und meinte, er könne sich jederzeit melden, falls er doch früher jemanden brauche.

Für mich war in dem Moment klar: Ich brauche einen neuen Contractor. Und zwar dringend. Fünf Monate für meine Visatage standen noch aus – und die Uhr tickte.


Howlong – und ein neues Kapitel

Gesagt, getan. Ein paar deutsche Freunde empfahlen mir einen Shearing Contractor – oder besser gesagt: ein kleines Contractor-Team aus drei Leuten, die zusammenarbeiten. Tom, seine Frau Tamsin und ein älterer Mann namens Max.

Der Haken? Ich musste nach Howlong – einem winzigen Kaff, etwa 20 Minuten von Albury entfernt. Und Albury wiederum liegt gute vier Stunden mit dem Zug von Melbourne entfernt.

Es gibt keinen regelmäßigen Bus zwischen Albury und Howlong. Und damit hatte ich erstmal keine Ahnung, wie oder wann ich es das nächste Mal nach Melbourne schaffen würde.

Eines stand jedoch schon fest: Meinen Führerschein will ich definitiv in Australien machen. Allerdings ist der Weg von der Fahrerlaubnis bis zum eigenständigen Autofahren kein Prozess von heute auf morgen – aber dazu ein anderes Mal mehr.

Vom Bahnhof in Albury holte mich Tamsin mit ihren drei Kleinkindern im Schlepptau ab und fuhr mich nach Howlong.

Meine kleine, persönliche Hölle: Ein Monat Howlong

In Howlong gab es diesmal feste Shearing Quarters. Man fuhr quasi jeden Morgen von Howlong auf die Farmen (natürlich mit Camp-Out-Job-Ausnahmen). Ich wohnte in einem Haus, das von den Contractorn gemietet und den Mitarbeitern zur Verfügung gestellt wurde. Insgesamt waren wir zu viert – plus fünf Hunde.

Ich teilte mir ein Zimmer mit einer kaum auszuhaltenden 20-jährigen Shed Hand namens Tamica. Selbstbezogen, miesepetrig, einfach nervig. Natürlich blieb freundlich und versuchte, unvoreingenommen zu sein. Eine Wahl hatte ich sowieso nicht.

Ansonsten lebten im Haus noch ein Scherer und eine Shed Hand, die ein Paar waren. Und Boots – eine Shed Hand, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten konnte und auf einen OP-Termin wartete. Sie wurde meine einzige Bezugsperson, auch wenn sie fast immer high oder betrunken war und ich mir oft vorkam, als würde ich mit einer Wand reden. Trotzdem ist sie eine gute Seele, und ich bin froh, dass wenigstens sie da war. Für 20 Dollar fuhr sie mich an zwei Wochenenden zum Bahnhof in Albury, damit ich Nathan in Melbourne sehen konnte. Am Sonntag holte sie mich wieder ab.

Die Zeit in Howlong war ehrlich gesagt meistens meine kleine, persönliche Hölle. Ich war einsam, irgendwie frustriert und habe Nathan schrecklich vermisst. Mit jeder Woche wurde ich unglücklicher. Das Haus war klein und Privatsphäre gab es kaum. Also habe ich mich so oft wie möglich an den Fluss um die Ecke verdrückt, Freunde angerufen, geschrieben, Musik gehört – und mich gelegentlich pflanzlicher Entspannung gewidmet. Einfach alles, um die Zeit schneller vergehen zu lassen und nicht völlig durchzudrehen.

Natürlich war nicht alles schlecht. Es gab auch ein paar gute Unterhaltungen mit Kollegen oder tröstende Kuscheleinheiten mit den Hunden vor Ort. Aber alles in allem ist Howlong kein Ort auf den ich gern zurückblicke. 

Wie alles endete?

Nach Woche vier schaffte ich es – mit der Hilfe eines Scherers – an einem Samstag endlich zurück nach Melbourne. Ich hatte meinen damaligen Freund zwei Wochen lang nicht gesehen. Ich wusste, dass ein Camp-Out-Job anstand. Sonntagmittag sollte ich zurück sein – „Kein Problem“, hatte Max, einer der Contractor, mir gesagt. Er sprach von einem Shearing Bus, der von Albury fahren würde.

Samstagmittag kam der Anruf von Tom (der andere Contractor): Ich solle mit Tamica zum Camp-Out-Job fahren. Von einem Bus war keine Rede mehr.

Ich schrieb Tamica eine freundliche Nachricht und fragte, ob sie mich vom Bahnhof in Albury abholen könne. Ihre Antwort: „Nein, sorry Jill. Ich werde dich nicht abholen. Es liegt nicht auf dem Weg.“

Ich rief Tom an – er meinte, er würde schauen, ob er mich abholen könne, und sich melden. Sechs Stunden später: keine Nachricht. Ich schrieb ihm nochmal.

Die Antwort? Ich bin entlassen.

Nun, so war ich also diesen Job losgeworden. 

Reue? Fehlanzeige. Eher ein Aufatmen. Nach meiner Zeit in Howlong war ich sowieso ein emotionales Wrack – und wie gesagt, ich hasste diesen Ort. Also folgte eine schnelle Entscheidung der nächsten: Ich zog zu meinem Derzeit-Freund in das Shared House in Melbourne. Ein Hostel hätte mir auch gereicht, aber er wollte es so. Und ich? Ich wollte einfach nur bei ihm sein. Ich würde die Theorieprüfung für den Führerschein machen, mir einen Job in Melbourne suchen – und ab Juli wieder für Paul arbeiten. So war zumindest der Plan.

Nach zweieinhalb Wochen bekam ich ein Angebot von einer italienischen Bäckerei als Barista. Kurz darauf bot mir eine Familie eine Nanny-Stelle an – direkt am Strand. Ich wollte zusagen. Doch dann, an einem Freitag in meiner dritten Woche in Melbourne – ich stand gerade über einer Schüssel mit Schokomuffinteig, mein neues Hobby als arbeitslose Urlauberin – klingelte mein Handy. Es war Paul!

Paul!

…und ein Jobangebot. Ein Contractor in Tasmanien suchte eine Shed Hand für einen Monat. Start: Montag, 5. Mai. Ich sagte sofort zu. Visatage und Geld – mehr hatte ich nicht im Kopf. Gleichzeitig zeriss mich der Gedanke, Nathan einen ganzen Monat lang nicht zu sehen. Fernbeziehungen sind einfach ätzend, kein Geheimnis. Aber was sind schon vier Wochen, wenn ich damit meinem dritten Working Holiday Visum näherkomme? Näher am Bleiben. Näher an einer Zukunft in Australien. Näher an einer Zukunft mit ihm. Ich hatte ja keine Ahnung.

Der Sturm vor der Ruhe: Ich fliege nach Tasmanien!

Am Samstag meldete sich endlich Jack, der Contractor in Tasmanien. Wir besprachen die Details, und ich buchte meinen Flug für den nächsten Tag – Sonntag. Nathan und ich hetzten an jenem Nachmittag durch Secondhand-Läden und Camping-Stores. In Tasmanien war bereits Spätherbst, fast Winter. Ich brauchte also warme Klamotten und einen Schlafsack. Nathan half mir dabei und war für mich da. So wie immer. Und gleichzeitig zum letzten Mal an jenem Wochenende.

In den drei Wochen in Melbourne lernte ich seine Eltern kennen. Wir gingen zusammen campen, fütterten Kängurus mit Trauben, wanderten keuchend auf den höchsten Punkt Australiens – den Mount Kosciuszko – und redeten über die Zukunft, als wäre sie zum Greifen nah. Ich war fest davon überzeugt, ihm eines Tages meine Heimatstadt und Deutschland zeigen zu können. Alles fühlte sich normal an, als ich am Sonntag in jenes Flugzeug stieg. Nichts war perfekt, aber alles war gut. Alles. War. Gut. Zumindest für mich.

Australischer Bundesstaat Nummer 5 von 6, den ich betreten durfte: Tasmanien.

Ein oft übersehener Inselstaat im Süden Australiens, rund 240 Kilometer vom Festland entfernt – getrennt durch die Bass-Straße. Erreichbar mit der Fähre (10 Stunden) oder per Flugzeug (nur eine Stunde von Melbourne).

Über 40 % der Insel sind Naturschutzgebiet – hier gibt es mehr Wald, Nebel und Berge als Menschen. Die Luft gilt als eine der saubersten der Welt: Tasmanien liegt weit entfernt von Industriezentren und wird von ozeanischen Winden ständig mit frischer Meeresluft durchspült. Mein erster Atemzug, als ich aus dem Flieger stieg? Ganz ohne Melodrama: der beste meines Lebens.

4. Mai 2025

Jack, mein neuer Contractor, holte mich am Flughafen in Launceston ab. Er ist etwa dreißig, eher introvertiert, aber super lieb und sympathisch. Nach etwas Smalltalk und einem kurzen Austausch unserer Lebensgeschichten kamen wir bei Farm Nummer eins an: Connerville – oder, wie ich sie später nennen würde: die „Breakup-Farm“. 

Der Job dauerte etwa zwei Wochen, mit Shearing Quarters direkt vor Ort, und es gab eine bezaubernde Köchin namens Sandy. Die Shed mit acht Scherern war ziemlich hektisch – für mich die größte seit 2022. Nach drei Wochen Pause war ich anfangs sichtlich nervös und ziemlich überfordert. Doch von Run zu Run wurde ich sicherer. Weit entfernt von meinen Kolleginnen, die bei Woolhandling-Wettbewerben mitmischten, aber immerhin: Ich kam klar.

Die Queen war hier!

Connorville ist eine historische Schaffarm nahe Cressy im Nordosten Tasmaniens, die seit 1824 der Familie O’Connor gehört und zu den größten Wollproduzenten Tasmaniens zählt.

1954 haben Königin Elizabeth II. und Prinz Philip hier eine Nacht verbracht – so wichtig, dass für sie extra die Zufahrtsstraße asphaltiert wurde. „Cool“, dachte ich stumpf. Ziemlich sicher der historischste Ort, an dem ich je gearbeitet habe.

Das Team und die Shearing-Matrix

Außer mir gab’s noch ein klassisches Scherer–Shed-Hand-Pärchen aus Victoria – und Jules, die extra von Kangaroo Island angereist war. Der ganze Rest des Teams? Locals. Alle aus Tasmanien.

Funfact zu Jules: Im Januar, als ich verzweifelt auf Jobsuche war, hatte ich sie zufällig kontaktiert – wahrscheinlich wegen eines Facebook-Posts (sie ist übrigens kein Contractor). Und sie erinnerte sich tatsächlich an mich! Manchmal fühlt sich diese Industrie eher wie ein kleines Dorf an, statt wie eine große Branche.

Paul, mein ursprünglicher Contractor, kennt zum Beispiel Boots aus Howlong. Die beiden haben mal in derselben Kleinstadt gewohnt. Pauls Cousin wiederum arbeitet für Mick Taylor. Kleiner Rewind: Mick Taylor war 2022 mein erster Contractor. Damals war ich 19 und zum ersten Mal als Shed Hand unterwegs. Immer wieder begegneten mir solche Verbindungen. Wie ein Puzzle, das sich Stück für Stück zusammensetzt.

5. Mai 2025: Zurück zu jener Nacht

Oder: Wie es weiterging nach „Wow. Und autsch. Und wow.“

Ich stand da – zitternd, weinend, inmitten von Dunkelheit und Kälte. „Da ist er wieder“, dachte ich. Der gute alte Trennungsschmerz. Nur kam er diesmal nicht leise, sondern wie eine Abrissbirne, die in Flammen steht. 

Die Welt ergab keinen Sinn mehr. Standen wir nicht vor drei Tagen noch zusammen in einem Klamottengeschäft, in dem er einen grauen Wintermantel anprobierte, gefolgt von den Worten: „Perfekt für den deutschen Winter“?

Ich kam mir noch nie in meinem gesamten Leben so dumm vor. Alles war falsch. Als wäre ich keine Person mit Gefühlen gewesen, sondern eine Situation, mit der man irgendwie umgehen muss. Kein Mensch, der Respekt verdient – nur ein Punkt auf einer To-do-Liste: Schluss machen mit Jill. Check. Natürlich ist das kein Fakt, sondern eine Empfindung. Aber eine, die ich – bei aller Sympathie für diesen Menschen – bis heute weder relativieren noch schönreden kann, werde oder möchte.

Wie ferngesteuert bewegte sich mein Körper auf die schwarzen Silhouetten zu, die vor der Unterkunft standen. Da war Jules und noch zwei oder drei andere Kolleginnen. Ich weiß nicht mehr genau, wer – zu viel Schock, zu viele Tränen. Mit brüchiger Stimme erzählte ich diesen fremden Menschen, wie mir gerade auf brutalste Weise das Herz per Telefon aus der Brust gerissen wurde. Dann sackte ich zusammen. 

Jemand reichte mir Taschentücher. Oder eine Rolle Klopapier – keine Ahnung mehr. Ich weiß nur noch, wie ich da saß, zusammengekauert auf dem Boden, um Luft ringend, nach Antworten suchend, die mir niemand geben konnte.

Ich war froh, dass Jules da war – so etwas wie die Omi unter uns Shed Hands. Sie strahlte Lebenslust aus, verstand sich mit jedem, hörte zu, gab Ratschläge – und wusste meistens genau, was man gerade hören musste. (Auch wenn in diesem Moment nichts davon zu mir durchdrang.)

Nach einer Weile beschloss ich aufzustehen. Ich wollte Hayley anrufen. Oder jemanden aus Deutschland. Oder einfach nur irgendeinen Menschen, den ich kannte – wenn schon nicht sehen, nicht umarmen, dann wenigstens hören. Ich hoffte auf besseres Netz in dem Gebäude, wo sich die Küche befand.

Wie eine Brausetablette, die in Cola aufgelöst wird, taumelte ich hinüber zur Köchin. Sandy. Ich erzählte ihr, was passiert war – und wie ich einfach nur noch nach Hause wollte. Zu meiner Mama; einfach nur von ihr umarmt werden. Wie ein Kind mit Heimweh im Ferienlager stand ich vor ihr – geschwollene Augen, rote Nase, zerknülltes Herz. „Ich bin eine Mum.“, sagte Sandy mit weicher Stimme und nahm mich in den Arm. Als wäre das das Selbstverständlichste der Welt.

Als ich zurück in meinem Zimmer auf meinem Bett saß und weder Herz noch Kopf zur Ruhe kommen konnten, lief ich in den Gemeinschaftsraum. Ziemlich neu gebaut: Sofas, ein Fernseher, ein Billardtisch, ein Kamin und eine kleine Küche. Wirklich hübsch. Kleiner Ausschnitt zur Vorstellung:

Ich betrat den Raum – mit tomatenrotem Gesicht und immer noch unter Tränen. Zwei Männer und eine Frau saßen verstreut auf den Sofas. „Mein Freund hat gerade per Telefon Schluss gemacht“, sagte ich.

„Männer sind Arschlöcher.“, erwiderte einer der Scherer.

Noch unfähig zu begreifen, wie sehr ich mich in einem Menschen getäuscht hatte, stotterte ich so etwas wie: „Nein, ist er nicht. Er … ich … oder zumindest dachte ich das.“

Die Frau auf dem Sofa? Eine Schafschererin namens Ellen. Sie sprang auf und machte mir einen Tee mit Honig. „Du kennst mich nicht, und ich kenne dich nicht – aber kann ich mit dir reden?“, fragte ich, während sich ein schiefes Lächeln auf mein salzverklebtes Gesicht drängte. Und so endeten wir auf dem Sofa – mit je einer Tasse Tee – und tauschten Lebensgeschichten aus.

Eine von Ellens Geschichten blieb mir besonders im Gedächtnis, wenn auch nur in groben Zügen: Sie lebte einige Monate auf einer Yacht und segelte mit ihrem damaligen Freund um die Welt. Im Laufe der Zeit entpuppte er sich als narzisstisches Arschloch, und sie beschloss, auszusteigen. Später erfuhr sie, dass ihr Ex-Freund auf eben jener Yacht gestorben war. Wäre sie geblieben, wäre ihr womöglich dasselbe zugestoßen.

Ein narzisstisches Arschloch ist mein Ex-Freund definitiv nicht. Nur ein guter Mensch, der einen sehr dummen, emotional unreifen, feigen, respektlosen Fehler gemacht hat. Aber manche Dinge sind so oder so einfach besser, wenn sie enden.

Nach ein paar Tagen, in denen ich unter stillen Tränen durch die Connerville Shearing Shed gerannt war, während ich meine Wut ins Heben und Werfen von kiloschweren Schaffließen gepackt hatte, realisierte ich: Ich bin endlich wieder frei.

Ich spürte eine Art von Erleichterung. Unabhängkeit. Da ist wieder niemand mehr, den ich in meinen Entscheidungen berücksichtigen muss. Und obwohl ich mir das damals nicht eingestehen wollte, übte diese Beziehung unterbewusst ziemlich viel Druck auf mich und meine Zukunft in Australien aus. Ich war mitten im Prozess von Plansuche, ertrank in Fragezeichen, meinem Job-Chaos und war mir eigentlich bei gar nichts mehr sicher, außer natürlich meiner Hoffnung auf ein Leben mit meinem nun Ex-Freund. Und vielleicht, nur vielleicht verliebte ich mich nicht bloß in die Person, sondern insbesondere in das Potential; die Idee von ihm und von dem Paar, das wir eines Tages hätten sein können.

Trauer kommt in Wellen. Und hallt nach – logisch. Verarbeiten braucht Zeit. Aber das Gefühl von Freiheit? Das blieb. Und es hält bis heute. Und es hat mir den Raum gegeben, mir die Frage „Australien - ja oder nein?“ unabhängig von einer Person nochmal neu für mich zu definieren und zu beantworten.  Diesmal nicht halb. Nicht vielleicht. Sondern Ja. Ja, das ist mein Traum. Ja, ich habe einen Plan. Ja, es wird schwer. Ja, ich möchte es trotzdem. Ja, ich darf meine Meinung ändern oder scheitern. Aber ja, ich möchte es versuchen.

Es ging mir nie vorrangig um die Trennung. Solche Dinge passieren. Es ging mir immer bloß um das Wie.

Denn Gott weiß: Ich finde jemanden, der besser zu mir passt – und über die Selbstreflexion und emotionale Reife verfügt, um kommunizieren zu können. Jemanden, dem nicht mal in seinem schlimmsten Albtraum einfallen würde, per Telefon mit mir Schluss zu machen.

In jener Nacht ist trotzdem etwas ganz tief in mir kaputt gegangen. Vertrauen. Offensichtlich. Aber: „Vertraue niemandem?“ – ist definitiv nicht die Lektion hinter dieser Geschichte. Ich habe an etwas geglaubt. Und daran ist nie etwas falsch gewesen. 

Vielleicht werde ich wieder verletzt. Vielleicht ist der nächste Australier genauso ein Idiot. Oder er ist die Liebe meines Lebens. Was soll’s? Ich komme auch gut alleine klar; ich brauche keinen Mann, um glücklich zu sein. Wirklich viel Frieden hat mir diese Beziehung ohnehin nicht gebracht. Ich bin im Moment sehr im Reinen damit, allein zu sein. Und trotzdem weiß ich für mich: Es ist schöner mit jemandem – insbesondere, wenn man ans andere Ende der Welt zieht und sich dort ein neues  Leben aufbauen möchte.

Wochenende!

Am Freitag nahm mich Ella, eine Shed Hand, mit nach Swansea und setzte mich am Hostel dort ab. Das war ürigens Jules Idee. Swansea ist ein kleines, verschlafenes Küstenstädtchen an der Ostküste Tasmaniens. Nichts los, aber genau das macht es so friedlich – und irgendwie einfach wunderschön. 

Kaum hatte ich das Hostelzimmer in Swansea betreten, traf ich Shaine, 29, aus Taiwan. Wir verstanden uns sofort – keine Floskeln, sondern ehrliche, tiefgründige Gespräche. Sie steckte gerade in einer ähnlichen Trennung wie ich, und schnell fanden wir einen echten Draht zueinander.

Die Geschichte mit der Maus 

Shaine erzählte mir diese völlig absurde Geschichte aus ihrem Leben: Eines Nachts, während sie schlief, krabbelte plötzlich etwas an ihrem Hals. Sie schreckte hoch, griff instinktiv zu – und hielt eine Maus in der Hand. Die Maus biss zu. Tief. Und es blutete und blutete.

Zuerst fragte sie sich immer wieder: Warum ich? Warum ausgerechnet ich? Aber irgendwann begriff sie, dass sie ihre Energie auf ein Warum verschwendete, auf das es keine Antwort gab. Stattdessen begann sie, sich zu fragen: Wie kann ich die Blutung stoppen? Oder besser noch: Wie kann ich heilen? Und genau das war ihr Wendepunkt. 

Wir können nicht verhindern, dass uns im Halbschlaf eine Maus beißt – aber wir können entscheiden, wie wir mit dem Schmerz umgehen. Wir können lernen, uns auf Heilung und auf uns selbst zu konzentrieren, anstatt von der Vergangenheit verschluckt zu werden.

Am nächsten Morgen holten wir uns Kaffee und Frühstück, setzten uns an den Strand und schauten dem Sonnenaufgang zu. Dann ging es für Shaine weiter – nach Maria Island. Die Insel mit den Wombats! (Steht übrigens auch noch auf meiner Liste.)

Ella, Donny und Tucker

Am Sonntag nahm mich Ella mit zum Hunde-Gassi an den Strand. Tucker und Donny – zwei richtig putzige Flauschbälle voller Energie und Lebensfreude. Nach all den Telefonaten mit Familie und Freunden – ohne die ich Tasmanien wohl nicht überlebt hätte – war angesichts des inzwischen leeren Hostels persönliche Gesellschaft und Ablenkung genau das, was ich gebraucht hatte.

An meinem zweiten Wochenende in Tasmanien war ich wieder in Swansea. Diesmal schlief ich bei Ella und ihrem Freund im Haus – kein Hostel, kein 10-Uhr-Checkout-Stress am Sonntag, sondern ein frisch eingerichtetes Gästezimmer. Rückzug, Ausschlafen, ein bisschen Privatsphäre. Es tat gut.

Am Sonntag fuhren wir zu ein paar Wasserfällen in der Umgebung. Versteckt, nur mit dem richtigen Auto zu erreichen. Die Art von Ort in der Natur, an dem man sich plötzlich klein fühlt, weil alles um einen herum so viel größer ist. Und das, was eben noch wichtig schien, wird still: Probleme, Zweifel, all das Gerede im Kopf. Für ein paar Minuten nichts als himmelhohe Bäume, Felsen und plätscherndes Wasser.

Ella ist die Art von Mensch, bei der man nicht funktionieren muss. Keine Erklärungen, kein Druck. Einfach sein.

Und obwohl sie selbst genug zu tragen hatte, schuf sie Raum – für mich, für meine Gedanken und für all das, was schwer war. 

Nach Connerville

Nachdem der Job auf der Connerville Farm beendet war, kam ich im Gästezimmer meines Contractors Jack und seiner Freundin Ellie unter und arbeitete in der Gegend – oder hatte keine Arbeit, weil es regnete und man nasse Schafe nicht scheren darf. Die beiden haben eine acht Monate alte Tochter namens Sady – eines der niedlichsten Babys, die ich je gesehen habe.

Das Haus stand auf der Familienfarm von Jack. Er war dort aufgewachsen. Die Farm glich einem kleinen Dorf: mehrere verstreute Häuschen, Tiere, viel Grün – und sogar so etwas wie eine eigene „Tankstelle“. Ein großer Dieseltank stand mitten auf dem Grundstück. Jack konnte sein Auto quasi zu Hause betanken. Wieder etwas, das ich so noch nie gesehen hatte.

Freizeit ohne Auto im Nirgendwo

Als ich frei hatte, nahm mich Ellie einmal mit nach Launceston – eine der wenigen größeren Ortschaften in Tasmanien. Ein anderes Mal fuhr ich mit dem Bus nach Hobart (dank Ellie, die mich zur Haltestelle brachte) – die Hauptstadt und mit rund 250.000 Einwohnern zwar die größte, aber dennoch erstaunlich überschaubare Stadt der Insel – für einen kleinen Tagesausflug.

An einem Sonntag begleitete ich Jack und Ellie beim Schafe-Eintreiben. Die Tiere waren während des Zaunbaus auf ein fremdes Grundstück abgehauen – auch das: eine Erfahrung.

Die beiden gaben wirklich ihr Bestes, um mir meine letzten zwei Wochen trotz meiner autolosen Situation so angenehm wie möglich zu machen. Definitiv nicht selbstverständlich – aber irgendwie typisch für die gutherzige Mentalität der Australier auf dem Land. Genau das liebe ich so an diesem schrägen Job und Lebensstil.

Mein persönliches Highlight? Sprite – ihr Haustierschaf, das in einer Identitätskrise lebt und nicht weiß, dass es ein Schaf ist. Sprite verhält sich lieber wie ein Hund.

Danke, Tasmanien <3

Irgendwie fühlte ich mich in Tasmanien oft halb adoptiert – und das werde ich den Menschen dort nie vergessen. Ja, ich war regelmäßig traurig, wütend, gedankenversunken oder kreiste um das bevorstehende Wiedersehen mit meinem Ex-Freund, wenn ich meine Sachen in Melbourne abholen würde. Aber ich hatte Ablenkung, gute Gesellschaft, Tiere, Natur – und konnte viel Wertvolles aus dieser Zeit für mich selbst mitnehmen. Trotz all dem Schmerz blicke ich gern zurück. Ich bin dankbar für diese Erfahrung und habe mir geschworen, eines Tages zurückzukehren – mit Führerschein, Auto und mehr Freiheit.

„Ich komm’ nach Hause!“

Im Juni flog ich ziemlich spontan zurück nach Deutschland. Das Ticket hatte ich drei Tage nach der Trennung gebucht. Ich ertrug den Gedanken an Australien nicht mehr – ich brauchte Abstand. Familie sehen. Freunde. Verdammt viel schlafen, meine Psyche stabilisieren. Ich gab mir Raum und Sicherheit zum Durchatmen – und mit der Zeit kam Klarheit.

Ein Plan (Dieser Weg wird kein leichter sein)

Am 1. Juli flog ich zurück nach Melbourne – und diesmal mit einem Plan:

Ich arbeite bis Weihnachten in den Shearing Sheds und mache meinen Führerschein. Die Theorieprüfung – die sogenannte Learner Permit – habe ich bereits erfolgreich bestanden. Lustigerweise habe ich mich ewig davor gedrückt, nur um dann festzustellen: Es dauerte zwei Tage und war halb so schlimm. Und das Beste? Der erste Versuch ist kostenlos!

Da ich über 21 bin, kann ich bereits in sechs Monaten zur Praxisprüfung antreten. Bis dahin darf ich schon Auto fahren – allerdings nur mit einem voll lizenzierten Beifahrer an meiner Seite. 

Nächstes Jahr steht dann der Autokauf an, und ich werde so lange arbeiten, bis ich die rund 40.000 Dollar für mein Studentenvisum zusammenhabe. Davon sind etwa 21.000 Dollar der finanzielle Nachweis, dass ich meinen Lebensunterhalt für ein Jahr absichern kann – der Rest geht für Studiengebühren, Versicherung und Visakosten drauf.

Und dann? Early Childhood Education.

Das bedeutet, ich werde ausgebildet, um Kinder im Vorschulalter zu betreuen und in ihrer Entwicklung zu fördern. Für mich ist das der perfekte Weg, um langfristig in Australien bleiben zu können – und gleichzeitig einen wirklich sinnvollen Job auszuüben. Vielleicht nichts für immer, aber auf jeden Fall ein realistischer Weg zur Permanent Residency.

So oder so: Pläne können sich ändern, logisch. Aber zumindest weiß ich für den Moment, woran ich bin und was ich will. Australien. Alles andere kann nur die Zeit zeigen. Vielleicht wird’s chaotisch, vielleicht großartig – wahrscheinlich beides. Aber wer nicht losgeht, kann auch nicht ankommen. Und ich? Ich bin immerhin schon mal unterwegs.

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