208 Dollar, also 140 Euro Netto am Tag verdienen, kostenlos Wohnen, mit Schafen arbeiten und eine Köchin am Arbeitsplatz haben. So in etwa verkaufte man mir meinen letzten Job als Shearing Shed Hand - und alles wurde eingehalten. Das „wie” allerdings ist die andere Sache.
Ich machs kurz: Ich hab nach zwei Wochen gekündigt - und es lag nicht an der Tätigkeit an sich. Es lag vorrangig A) an meinem Chef, der - ich kann es nicht poetischer ausdrücken - ein Bilderbuchnarzisst ist und B) an der Art und Weise wie einige Schafscherer mit den Tieren umgegangen sind.
Mein Chef.
Anfangs war alles okay. Ich dachte, er ist ein bisschen seltsam (Sind wir das nicht alle?), aber eigentlich ganz nett. Doch dann erfuhr ich entweder durch Erzählungen oder eigene Erlebnisse immer und immer mehr Dinge, die „ein bisschen seltsam” in unangenehm bis hin zu völlig gestört verwandelten.
Ein paar Schlagworte: Egoismus, Arroganz, Größenwahn, fehlende Empathie. Der Umschwung meines anfangs positiven Eindrucks fing an, als ich erfuhr, dass er nur BackpackerINNEN in seinem Haus schlafen lässt. Ging weiter mit seinem Stimmungsschwankungen, seinem Lachen an unpassenden Momenten und seinen Witzen, die teilweise so absurd unangebracht oder unlustig waren, dass mir jetzt noch schlecht wird, wenn ich daran denke.
Der Umgangston, wenn mein Chef schlecht gelaunt ist. Die Art und Weise, wie er genau das als „jemanden pushen, um besser zu werden” beschreibt, ist keine Form des strengen Lehrens - es ist einfach nur überflüssig und verletzend. Zusammengefasst: Er ist ein alter, manipulativer, verwirrter Mann, der von der einen auf die andere Sekunde schlagartig verbal explodieren kann und im Grunde - ich verwende dieses Wort eigentlich nie - ein ziemliches Arschloch ist.
Ich hab nicht lange genug dort gewohnt, um herauszufinden wie sich alles entwickelt hätte - aber die Erzählungen einer Backpackerin, die drei Monate lang für meinen Chef gearbeitet hat, reicht mir. Sie war neben dem eigentlichen Job gleichzeitig unbezahlte Köchin und Putzfrau ohne Wochenende. Innerhalb ihrer Zeit dort habe sie über 11 Menschen gehen sehen. Einer davon verließ ohne Bescheid zu geben 6 Uhr morgens die Stadt und kam nie wieder. Backpacker blieben teils nur ein oder zwei Tage. Aus den gleichen Gründen wie ich: Mein Chef - plus der brutale Umgang mit den Schafen. An sich ist die Arbeit nicht schlecht. Man wird physisch fit und dank der Menschen kann der Job (bzw. die Pause, die Farm Erfahrung und alles dazwischen) wirklich Spaß machen. Aber den mentalen Auswirkungen über längere Zeit stand zu halten, ist etwas anderes. Die einzige Möglichkeit, mit meinem Chef auszukommen, ist eine Mischung aus Ignoranz und Humor.
Die Schafscherer: Bilder im Kopf, die ich nie vergessen werde
Schafscherer werden nach Anzahl der geschorenen Schafe bezahlt. 5 Dollar pro Schaf. Im Durchschnitt verdienen die Scherer Tausend Dollar täglich. Das heißt: Man will viele Schafe in möglichst kurzer Zeit scheren. Erfahrene Arbeiter kriegen das fast ohne Schnitte und Misshandlung der Tiere hin. Insbesondere Schafscherer mit wenig Übung hingegen schneiden die Tiere teilweise so blutig, dass sie mit Nadel und Faden zugenäht werden müssen. Nach dem Scheren wurden die Schafe zurück in die Ställe getreten, gepresst und regelrecht geprügelt. Es war brutal. Und trotzdem hieß es, die Tiere würden die Schnitte nicht einmal fühlen können.
Tag meiner Kündigung
Meine mentale Verfassung ging von “Jill, you seem to be a very positive person” (Mein Chef am ersten Tag) zu “I could see in yours eyes how much it hurt you. I just wanted to stop working and giving you a hug” (Ein Arbeitskollege nach 2 Wochen zu mir).
An jenem Tag bin ich gefühlsmäßig fürs Atmen kritisiert worden. Dann wurde ich zum ersten Mal an den Tisch zum Wolle aussortieren geholt und stand meinem Chef die ganze Zeit gegenüber. Es folgten zusammenhanglose Sätze, unangebrachte Witze, unverständliches Wortwirrwarr. Bis dahin war der Tag schon schlimm genug gelaufen, als dann aber noch mein Chef und sein Sohn in einen verbalen und körperlichen Streit geraten waren, wusste ich: Jap, ich bin raus.
Es ging darum, dass sein Sohn ein Schaf beim Scheren blutig geschnitten und nicht zugenäht hatte. Das war dem Farmer aufgefallen. Der wiederum beschwerte sich (logischerweise, weil es sonst verblutet/ gestorben wäre) bei meinem Chef darüber. Gegen Abend war jene Auseinandersetzung erneut ausgebrochen. Ich hörte nur Schreie - blickte auf und sah wie mein Chef von seinem Sohn gewürgt wurde. Ein anderer Scherer musste dazwischen gehen. Der ganze Raum stand unter Schock. Als der Sohn den Raum verlassen hatte, schrie mein Chef im Anschluss “We don’t kill sheep. Don’t put this on facebook!’’ durch den Raum. Und ich hatte nur einen Gedanken: Renn.
Und so brach ich noch am selben Abend als ich zurück in meinem Zimmer war in jeglichen angestauten Tränen aus - wischte sie weg - und sagte meinem Chef, ich wolle kündigen und den nächsten Bus nach Sydney nehmen. Er versuchte, mich zum Bleiben zu überreden und sagte tatsächlich einige sehr nette Dinge über mich. Randnotiz: Ich hätte das Potenzial, richtig gut in dem Job zu werden. Danke - aber nein danke.
Ich bin nicht hier, um mich reich und gleichzeitig kaputt zu arbeiten. Ich bin hier, um herauszufinden, wie zur Hölle ich glücklich werde; wie ich leben und wer ich sein möchte. Nicht, um meinen Freund als mentales Wrack zur „besten Zeit unseres Lebens” zu empfangen.
Die körperlichen Schmerzen - die Anstrengung und den Muskelkater - konnte ich gut ertragen. Ich kann physisch an meine Grenzen gehen, aber ich bin nicht ans andere Ende der Welt geflogen, um mich zurück in den mentalen Abgrund stürzen zu lassen. Ich weiß, wann ich springen und rennen muss, anstatt zu fallen.
Inzwischen arbeite ich als Housekeeper gegen kostenlose Unterkunft in einem Hostel zurück in Sydney. Und es geht mir gut. Natürlich hab ich 10 mal hin und her überlegt, ob ich nicht noch länger durchhalten gekonnt hätte - aber die Antwort ist: Nein. Es hätte mich gebrochen.
Im Nachhinein hätte ich gern mehr Fragen gestellt, über die Arbeitsweise der Scherer und über Schafzucht im Allgemeinen. Nach ein bisschen Regerge und einem schlechten Gewissen, überhaupt für jene Industrie gearbeitet zu haben, bin ich moralisch gesehen einfach nur verwirrt. Am liebsten würde ich nie wieder Klamotten in denen Wolle enthalten ist, die unter solchen Bedingungen hergestellt wurde, tragen. Nie wieder Lamm oder generell Fleisch essen und alle Schafe dieser Welt aus ihren Käfigen befreien. Ja, die Welt kann ein grauenhafter Ort sein. Und ich bin 19 und hab gerade jetzt absolut keine Ahnung mehr, wie ich damit umgehen kann, sollte, möchte oder werde.
Was ich weiß, ist, dass ich trotz all den Gründen zu kündigen, einen gehabt hätte zu bleiben: Ich hab unglaublich tolle Menschen kennengelernt (Die Backpacker). Arbeitskollegen, die zu Freunden wurden. Diese Erfahrung schweißt zusammen wie nichts, das ich vorher erlebt habe. Zusammen leiden und lachen - zusammen überleben - verbindet.
In einer Woche hole ich meinen Freund vom Flughafen ab - Zeit für ein neues Kapitel. Eins ohne Schafblut, ohne Sehnsucht und eins ohne permanenten Countdown im Hinterkopf.
Bis bald!
- Ex Shearing Shed Hand Jill
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