22
AUG
2022

Vom Ende meines Solotrips

Ich zerre mein riesiges “Boyfriend/ My Brothers Best Friend” Pappschild über Sydneys Flughafen bis vor zum Arrival Ausgang. Ein paar Leute starren mich an, versuchen den verkehrt herum stehende Schriftzug zu lesen - und das möchte ich mir zumindest einbilden: lächeln. Mein Freund ist hier. Nach 7 Wochen temporärer Fernbeziehung wartet er in diesem Moment ein paar hundert Meter weiter auf sein Gepäck. 

Eine zweite erste Berührung, ein zweiter erster Kuss - viele zweite erste Male. Und ein verdammt perfektes airbnb am Strand in Newport, irgendwo am Stadtrand von Sydney.

Seit jenem Tag sind inzwischen etwa 8 Wochen vergangen. Von Sydney nach Queensland, von Queensland nach Victoria und zurück nach New South Wales. Unser einziges Ziel im Moment:  Dem Geld folgen und für ein Auto sparen, um endlich reisen zu können. Plus: Die 88 2nd year Visumstage vervollständigen. (Man muss 88 Tage auf einer Farm/ Gastro in einem bestimmten Gebiet arbeiten, um ein zweites Working Holiday Visum zu bekommen.)

Das Leben als Backpacker ist rasant. Und das Leben als Backpackerpaar - das Leben ohne Fernbeziehungscountdown im Hinterkopf - die Wochen hier fühlen sich an wie Sand, der durch meine Hände rieselt und die ganze Zeit suche ich nach Worten, die dem, was ich hier erlebe, gerecht werden. So viele Menschen, Erlebnisse - Geschichten, die ich noch erzählen möchte. Aber anstatt meinen inneren Enttäuschungsmonolog über den Fakt, dass ich die letzten Wochen keine Zeit oder Lust zum Schreiben hatte, auszuführen, hier eine versuchte Zusammenfassung:

Meine letzten zwei Wochen Solotravelling

Nach meiner dramatischen Schaffarm Erfahrung, hatte ich mich zurück in Sydney in einem Hostel einquartiert. Zwei Wochen vor der Ankunft meines Freundes. Alles drehte sich ums Warten und Überleben. Ich fing an, gegen Unterkunft in jenem Hostel zu arbeiten - Housekeeping drei Mal die Woche zum Geldsparen. Das mad monkey Hostel am Broadway. Das erste Hostel, das ich mochte. Es gibt dort nur eine Küche, die direkt mit dem Aufenthaltsraum verbunden ist. Das hat zwar zur Folge, dass Privatsphäre ein ziemliches Fremdwort ist -  gleichzeitig führt es aber auch dazu, dass man zwangsweise schnell neue, teils sehr interessante Menschen von überall aus der Welt kennenlernt. Der Rezeptionist zum Beispiel. Ein Engländer, der seit zehn Jahren dauerhaft reist und arbeitet. Er kannte Ed Sheeran noch bevor er berühmt wurde. Im Ernst, ich hab ein Foto gesehen. Die beiden haben sich auf einem Festival getroffen, auf dem Ed aufgetreten war. Das Taylor Swift Fangirl in mir schrie vor Unglauben. Jetzt kann ich behaupten: Ich kenne jemanden, der Ed Sheeran kennt, der der beste Freund von Taylor Swift ist. Oder da war dieser Kanadianer, der Gitarrist einer Band gewesen war, bevor er beschloss, sein Glück in Australien zu suchen. Die Ironie: Eine Woche, nachdem er Kanada verlassen hatte, bekam seine ehemalige Band einen Plattenvertrag - ohne ihn. Aber er bereute seine Entscheidung keine Sekunde. Irgendwie schien er im Reinen mit sich zu sein und genau zu wissen, wieso er hier ist. Ansonsten traf ich auf einige Neuseeländer, Franzosen, Menschen aus Argentinien, Kolumbien, Chile, viele Engländer und zwei super liebe, energiegeladene Schottinnen mit denen ich mir den Mitarbeiterraum teilte. Ich hab mich innerhalb dieser zwei Wochen kaum noch einsam gefühlt. Ich war nicht nur umgeben von Menschen, nicht nur nicht allein - ich war nicht mehr einsam. Aber weit weg von glücklich. Ich steckte fest in Sydney. Und die schönste Stadt, die ich je gesehen hatte, fing an sich anzufühlen wie Treibsand mit Krallen, die nicht loslassen. 
 

Ich besuchte Museen, Kunstgalerien, Strände, gab viel zu viel Geld für Kaffee aus und trank meinen ersten Cocktail in einer australischen Bar. Und trotzdem erinnere ich mich daran, wie wütend ich auf die ganze Ich-warte-auf-meinen-Freund-Situation gewesen bin. Ich freute mich über jeden vergangen Tag auf irgendwie schrägfinstere Art und Weise als wäre es etwas Gutes, Lebenszeit zu verlieren. Die Telefonate mit meinem Freund taten von Anfang an oft mehr weh als mir gut zu tun.  Und wir beide wissen - noch zwei Monate länger 16 Tausend Kilometer entfernt voneinander und wir wären daran zerbrochen. Keine Ahnung, wie das andere Paare aushalten. In meinen Augen sind Fernbeziehungen grausam und ein Teil von mir hat sich selbst jetzt schon geschworen:  nie wieder.

Mein letzter Abend im Hostel

Umso glücklicher war ich als ich am Abend des 27. Juni in der Hostelküche vor der Pappschachtel einer Klimaanlage stand und mit Hilfe des Kanadiers ein riesiges Rechteck ausschnitt, um mein Flughafenschild zu basteln. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war und irgendwie schien das anzustecken. Etwa sieben Leute standen interessiert um mich herum während ich das Schild beschrieb.

Vom Strandblick zum Wandblick

Ich hab nicht geplant, fast ein ganzes Jahr auf Australiens Grenzöffnung zu warten. Ich hab nicht geplant, mich in dieser Zeit ausgerechnet in den besten Freund meines Bruders zu verlieben oder zwei Monate lang eine Fernbeziehung auszuhalten - aber ich hab schon immer geplant, den Weg zum Glück zu suchen. Was mir die letzten Monate hier gezeigt haben, ist vor allem, dass keiner jener Wege an Dingen wie Liebe vorbei führt. Seit mein Freund hier ist, fühlt sich jedes Tief halb so schlimm und jedes Hoch fünfmal so schön an.

Um das kurz auszuführen: Die erste gemeinsame Woche in Australien verbrachten wir in jenem erwähnten Urlaubs airbnb am Strand. Von dort aus ging es geradewegs in ein airbnb ohne Fenster, mit modrigem Geruch, Wänden aus Papier, ranzigem Bad, ohne Heizung und Kleiderschrank, ewig weit vom Stadtzentrum entfernt und dazu: Dauerregen und Hochwasser. Ohne Wäschetrockner. Wir mussten unsere Klamotten zum trocknen in unserem Zimmer verteilen. Und trotzdem konnten wir nicht anders als laut losprusten, als sich mein Freund auf unser Bett setzte, das Lattenrost in sich zusammenfiel und die Matratze im Boden einsank. Ja - das passiert, wenn man ins günstigste airbnb geht, nur weil es damit wirbt, ein Wassergrundstück zu sein. (Zumindest das war keine Lüge - nur wenig hilfreich bei dem Wetter.)

Er hat ein Boot!" 

Unsere restliche Zeit in Sydney verbrachten wir mit einem airbnb Wechsel, einem Friseurbesuch und ein paar klassischen Touriausflügen. Außerdem: Innerhalb meiner ersten Tage in Sydney bin ich einem nach Australien ausgewanderten koreanischem Sandwichladenbesitzer namens James begegnet, der mir damals schon angeboten hatte, mich und meinen Freund auf seinem Bot zu einem Angeltrip mitzunehmen. Meinen ersten Fisch fangen: Check.

Farmjob in Queensland: Ich hätte niemals gedacht, dass ich jemals mit meiner Freundin zusammen arbeiten würde!"

Spätestens als mein Kontostand auf minus vier Dollar und 67 Cent gesunken war, hieß es: Arbeit suchen. Und so führte uns eine Onlinejobbörse nach Ayr - in eine Kleinstadt im sonnigen Queensland, die man wirklich nicht gesehen haben muss. Direkt auf eine Kürbis-, Gurken- und Wassermelonenfarm. 

Ich hätte niemals gedacht, dass ich jemals mit meiner Freundin zusammen arbeiten würde”, sagte mein Freund zu mir, als wir bei 25 Grad im 181 einwohner Gumlu für 27 Dollar die Stunde Kürbisse pflückten. Später wurde ich zum Gurken sortieren und packen in die Packing Shed versetzt. Für mich bedeutete das: Jeden Tag Millionen von Gurken und Gewürzgurken sehen und psychisch verdummen.

Wenn es keine Arbeit gab, wurden wir zum Unkraut jäten oder Samen säen auf die Felder geschickt. Und wenn ich Feld sage, meine ich scheinbar endlos lange Strecken, die mich viele meiner wichtigen Lebensentscheidungen hinterfragen ließen. Schmerz - einfach nur Schmerz. Wenn mich jemals jemand beim Unkraut jäten suchen sollte - ich bin die langsamste und letzte auf dem Feld.

Unsere Wochenendbeschäftigung Hitchhiking

Wochenenden in einer Kleinstadt, die absolut nichts zu bieten hat, machen erfinderisch, wenn man kein Auto hat: Mein Freund und ich versuchten Hitchhiking zum 17 km entfernten Alva Beach - mit Erfolg. Nach 20 Minuten zu Fuß, hielt das erste Auto. Eine in Ayr arbeitende Krankenschwester nahm uns den ganzen Weg bis zum Strand mit. Auch der Rückweg funktionierte auf dieselbe Weise. Das zeigt mal wieder: Australier und ihre Hilfsbereitschaft. Ich liebe die Menschen hier!

Die Koreanerparty: Unser Mitbewohner ist ein DJ!

Ansonsten hatten wir großes Glück mit unseren Mitbewohnern: Eine Thailänderin und zwei Japaner. An einem Abend wurden wir zu einer Koreanerparty in unser Wohnzimmer eingeladen - koreanisches Essen, das mir den Rachen weg gebrannt hat, großartiger Cheesecake und eine Musikeinlage von einem der Japaner, der sein DJ Equipment aufgebaut hatte und uns eine private Clubnacht bescherte.

Ausflug nach Bowen: Kalte Nuggets und Lacher am Strand 

An einem anderen Wochenende fuhren wir als selbige Gruppe nach Bowen zum Angeln - beziehungsweise ging mein Freund angeln während ich high am Strand meinen vegetarischen Monat brach, indem ich Maccas Chicken Nuggets aß und mich in den Schlaf entspannte. 

Von Queensland nach Victoria

Da weder die Arbeit noch der Lohn in irgendeiner Weise erfüllend gewesen sind, verabschiedeten wir uns von Kürbissen und Gurken und gingen auf Jobsuche. Und so öffnete ich eines schicksalhaften Donnerstag Nachmittags Facebook und der erste Post den ich sah, war eine Stellenanzeige für Shearing Shed Hands - mit einem Stundengehalt von 37,75 Dollar. 

Ausgerechnet ich, die dachte, sie würde nie wieder einen Fuß in eine Shearing Shed setzen, arbeitet jetzt wieder genau dort. Neben Schafscherern, Wolle und allem was dazu gehört. Nette Menschen, bessere Scherer, kein Familiendrama - hier läuft vieles anders als beim letzten Mal. Immer noch teilweise sehr verrückt - aber das umfasst Stoff für einen seperaten Artikel. 

Bis dahin!

- jill

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