16
MAI
2022

"Are you lost?" - Meine ersten Tage am anderen Ende der Welt

Are you lost?”, fragte mich eine fremde, weibliche Stimme, als ich mitten im Zentrum von Sydney an irgendeiner Kreuzung stand, vollgepackt mit meinem 65 Liter Rucksack und einer überquellenden Handtasche, die Haare vom Regen durchnässt - verloren gegangen auf der Suche nach meinem Hotel. 20.30 Uhr. Tag meiner Ankunft. Die Sonne war bereits seit Stunden untergegangen, aber von Dunkelheit blieb dieser Teil der Stadt meilenweit entfernt. Lichter, Bars, Clubs, Restaurants - Menschen in Massen. Mein Ziel zu diesem Zeitpunkt: Das Wynyard Hotel. 

Vom Flughafen aus bin ich mit der U-Bahn gefahren. Laut Maps hätte ich nur noch vier Minuten zu Fuß gehen müssen. Aus vier waren irgendwann zwanzig geworden. Dummerweise hatte ich weder eine SIM-Karte, noch WLAN. Alles, was mir blieb, war ein mickriger Screenshot, wo exakt zwei Straßen ausgeschrieben gewesen sind. Jede Wegbeschreibung, die ich vorher erhielt (gut, ich hab bloß zwei Leute angesprochen), fiel sehr schwammig aus und war daher eher wenig hilfreich.

Nachdem ich die Frage der fremden Frau (“Are you lost?”) also bejaht hatte, schilderte ich meine Situation. Sofort zückte sie ihr Handy, öffnete Maps und brachte mich den ganzen Weg bis zum Hoteleingang. Ich hab keine Ahnung, wie diese Frau heißt, aber ich werde ihr auf ewig dankbar sein. 

Sowohl während meines Fluges als auch in Sydney hab ich die Einheimischen hier (bisher immer) als sehr freundlich, hilfsbereit und offen erlebt. Ein Australier am Flughafen schrieb mir eine ganze Liste mit den besten Bars, Restaurants und Stränden in der Stadt. Meine Sitznachbarin im Flugzeug hat mir sogar ihre Telefonnummer gegeben. Sie sagte, ich könne sie kontaktieren, wann immer ich etwas bräuchte. 

Heute wurde ich von einem koreanischem Restaurantbesitzer auf der Straße angesprochen, der mir mal eben die schönsten versteckten Orte Sydneys gezeigt hat. Funfact: Er ist Angler und besitzt zwei Fischerbote. Wenn mein Freund in Australien ist, nimmt er uns auf eine Angeltour rund um Sydney mit. (Langsam glaube ich wirklich nicht mehr an Zufälle.) Die Menschen hier sind absolut kein Vergleich zu Deutschland.

Solo Travelling - Eine Sinusvkurve 

Meine ersten Tage hier waren sehr durchwachsen. Irgendwas zwischen traumhaft schön und beängstigend einsam. Ich hab ein paar Leute kennengelernt, mich dann aber doch eher zum allein unterwegs Sein entschieden. Nicht weil ich musste - eher weil ich wollte. Ich war an verschiedenen Stränden spazieren, hab mir die Stadt angesehen und mich nebenbei um die hundert Mal trotz Maps verlaufen. Gehört dazu als guter Touri, schätze ich. Ich musste mich an niemanden anpassen und konnte hingehen, wo ich wollte. Alleine zu reisen, bedeutet Unabhängigkeit und Freiheit. Ich kann tun und lassen - sein, wer auch immer ich sein will. Die Abende und Nächte und alle einsamen Momente dazwischen hingegen sind schwerer, als ich gedacht hätte. Im Hotel war das absehbar - im Hostel allerdings viel mehr ein (un)glücklicher Zufall. Weil ich ins falsche Zimmer eingecheckt wurde, bekam ich ein Upgrade auf ein Zwei-Bett-Zimmer. Ein Doppelstockbett, das ich mir eine Nacht lang mit einem Fremden aus Brasilien teilen durfte. Unangenehm - aber er war bereits am nächsten Morgen abgereist. Seitdem bin ich alleine. Eigentlich seltener Luxus in der Hostelszene - aber gleichzeitig nicht sehr förderlich für meine Englischkenntnisse.

Um das Thema “Die ersten Nächte” nochmal aufzugreifen: Ich fühlte mich schlichtweg überfordert. Nicht nur damit, jetzt plötzlich wirklich hier zu sein - in einer fremden Stadt am anderen Ende der Welt und noch nicht zu wissen, wie ich nach nächster Woche weitermachen würde - aber vor allem damit allein, also noch ohne meinen Freund hier zu sein. Wenn man sich dreieinhalb Monate lang fast jeden Tag sieht und dann auf einmal nicht mehr, dann fühlt sich das für einen kurzen Moment wie Ertrinken an - als hätte man das alleine Atmen verlernt. Als würde ein Teil von mir fehlen. Und dieser Teil schläft nicht einmal mehr unter demselben Nachthimmel wie ich. Meine Sterne sind nicht mehr seine Sterne. Zwischen uns liegen etliche Länder, Meere - ganze Welten. Ich hatte keine Ahnung, wie sehr man eine einzige Person nach nur 48 Stunden vermissen kann. Der beste Vergleich: Das erste Mal Heimweh im Ferienlager. Nur dreitausend Mal schlimmer. Dabei ist Vermissen als solches ein wirklich gutes Zeichen. Wenn man jemanden vermisst, dann heißt das a) bloß, dass man diesen jemand wirklich liebt und b), dass diese Person so essentiell für das eigene Leben geworden ist, dass es weh tut, wenn sie nicht mehr da ist - weil mit jenem Menschen einfach alles besser ist. 

Den Tag über bin ich gut abgelenkt: Ich bin gerade dabei, das Alleinsein neu zu lernen. Temporär und für 42 Tage zumindest. Ich hasse es. Aber ich versuche, das Beste draus zu machen und die Zeit hier zu genießen. Eins hab ich jetzt schon begriffen: Meeresrauschen ist das beste Mittel gegen Sehnsucht.

Plus: Ich bin in der schönsten Stadt, die ich je gesehen hab. Ich liebe alles hier. Die Parks, den Hafen, die Strände, die Architektur, die Menschen. Als würde ich träumen, wenn ich am Meer sitze oder im botanischen Garten neben Palmen schreibe. Oder wenn ich abends durch die Stadt laufe - die Kent Street entlang vor zum Wasser - wo die Stadtlichter funkeln und glitzern als tanzten sie Walzer. Als würde ich träumen, wenn ich all das sehe und mir klar wird, dass das jetzt mein Leben ist - und dass ich eigentlich am liebsten für immer hier bleiben würde. 

Inzwischen hat meine Sydney Intro Tour begonnen. Im Programm: Essen gehen, eine Kreuzfahrt, eine Stadtrundfahrt, Kneipentouren, die Blue Mountains und vieles mehr. Zum einen lerne ich endlich mehr Leute kennen - zum anderen: noch mehr Ablenkung. 

Und danach? - Schafe scheren!

Per Facebook Anzeige hab ich einen Farmjob 550 km von Sydney aus entdeckt - und direkt bekommen. Leicht per Zug zu erreichen. Die Unterkunft wird von der Farm gestellt und das Gehalt ist überdurchschnittlich gut. Plus: Ich werde mit Schafen arbeiten! Ich hab ein wirklich gutes Gefühl bei dem Job und freue mich nächste Woche, dort anfangen zu dürfen. Ich seh´ mich jetzt schon, wie ich jedes Schaf Shawn nennen werde und sich das alles mehr wie Ferienlager, als Arbeit anfühlen wird (hoffentlich). Der Anfang sei anstrengend, aber man gewöhne sich während des Einarbeitens angeblich ganz gut daran (So Farmer Mick). Noch ein Vorteil:  Muskeltraining. Ja - ja, ich werde eine Shearing Shed Hand!

Und damit guten Morgen/ gute Nacht und bis bald!

- jill

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